Als Soldat im Algerienkrieg beginnt Jaques Mesrine (Vincent Cassel), was er später am besten beherrschen wird: töten. Als Soldat ist er Zeuge von Folter. Das Opfer erschießt er ohne entsprechenden Befehl. Ob aus Autoritätsverachtung oder um dessen Qualen zu beenden, lässt der Film offen. Hier tritt bereits Mesrines “Mordinstinkt” zu Tage. Zurück in Frankreich kann er sich sozial schwer eingliedern. Leicht verdientes Geld bietet die Arbeit für den Unterweltboss Guido (Gerard Depardieu). Eine Affäre mit einer Prostituierten führt zu Mesrines Mord an deren Zuhälter. Danach erlebt Mesrine in der Ehe mit einer Spanierin eine kurze Ruhephase als Familienvater dreier gemeinsamer Kinder. Seine Aggressivität und kriminellen Verwicklungen zerstören die Ehe jedoch. Eine bessere Partie scheint die Prostituierte Jeanne (Cecile de France). Sie wird zur Komplizin bei einem Banküberfall. Doch das Paar wird gefasst. Auf den Medienrummel folgt die Haft. Hier findet sich Mesrine auf der anderen Seite wieder, wird selbst Opfer von Folter und Polizeigewalt. Mit einem aufsehenerregenden Ausbruch entkommt er. Wieder in Freiheit ist er entschlossen, seine kriminelle Laufbahn rücksichtslos weiterzuverfolgen.
Auf zwei Arten kann man “Public Enemy No.1” sehen. Abhängig davon verändert sich die Wahrnehmung des Hauptcharakters. Beide Filme ansehen sollte man in jedem Fall. Richets Werk ist als Einheit konzipiert. Erst gemeinsam entfalten beide Hälften ihre Eindruckskraft. Die Vielzahl der Bezüge und Referenzen sowohl historischer als filmischer Natur ist überwältigend: entscheidende Stärke und Schwäche des Films zugleich. Zum einen ergeben der visuelle Reichtum “Mordinstinkt” genau wie “Todestrieb” seine Ausdruckskraft. Zum anderen tritt die Handlung hinter den Bildern zurück. Seinen Anfang nimmt dies schon beim Titel. “Der Staatsfeind Nr.1”, im Original “Public Enemy No.1 , ruft das Bild James Cagneys im Film-Noir-Vorläufer gleichen Namens wach. An Klassiker des Kriminalfilms wie “Little Ceaser” oder “Scarface” lehnt sich “Der Staatsfeind Nr.1” deutlich an. Hauptprotagonist Mesrine sieht sich als “Gentleman-Gangster”, einer Mischung aus Robin Hood, Revolutionär und Kriminellem mit Ehrenkodex. Im zweiten Teil unterstützt der Film die fragwürdige Selbstdarstellung seiner Hauptfigur. “Mordinstinkt” hingegen zeichnet ein weit authentischeres, drastischeres Bild von Mesrine. Zuerst wirkt die Anfangsszene. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere fährt Mesrine mit seiner Freundin im Auto. Auf dem Schoss hat sie den kleinen Hund der beiden. Automatisch denkt man an Fay Dunaway und Warren Beatty als “Bonnie und Clyde”, dessen Ende “Mordinstinkt” mit der Erschießung Mesrines praktisch kopiert. Nur ist das Ende hier der Anfang. Es folgt eine Rückblende, in der sein Aufstieg und Werdegang geschildert werden.
Ziel des Films ist nicht, eine Kriminalhandlung zu konstruieren, sondern ein komplexes Charakterporträt zu erstellen. Durch mehrere Morde, Banküberfälle, Entführungen und einen Gefängnisausbruch avancierte Mesrine zum meistgesuchten Mann Frankreichs. Eine Autobiografie des Verbrechers wurde zum Bestseller. Als kriminelle Variante der heiligen Dreifaltigkeit erlebt man Jaques Mesrine: The Good, the Bad and the Ugly. “Mordinstinkt” zeigt den prominenten Verbrecher von seiner bösen Seite. Er foltert genüsslich und begräbt ein Opfer bei lebendigem Leib. Seiner Frau hält er eine Waffe in den Mund, vor den Augen der kleinen Tochter. Gewalt verschafft Mesrine einen Machtrausch. Mit ihr erpresst er sich den “Respekt”, welchen er verbal wiederholt einfordert. Die eigentliche Bedeutung des Wortes kennt er jedoch nicht. Respekt beinhaltet Achtung vor anderen Menschen. Mesrine ist dazu unfähig, genau wie zu der Erkenntnis, dass seine Mitmenschen ihn nicht respektieren, sonder fürchten und verachten.
Passend bezeichnet Guido die Stadt als Dschungel, indem das Gesetzt des Stärkeren gelte. Eine Referenz an John Hustons film noir “Asphalt Jungle”. Dessen Pessimismus setzt “Mordinstinkt” mit voranschreitender Handlung eine zweifelhafte Idealisierung entgegen. Jeanne und Jaques sieht man im Laufe ihrer Flucht von Polizeiwagen verfolgt über einen amerikanischen Highway brettern. Ein weitverbreitetes Hobby flüchtiger Verbrecher. Aufgehalten werden sie von echten Cops, die alles “son of a bitch” nennen. In Szene gesetzt ist das ohne die beißende Satire eines Oliver Stone, an dessen “Natural Born Killers” die Bilder erinnern. Versucht Mesrine nach seinem Ausbruch einstige Mithäftlinge zu befreien, ähnelt dies einem Akt der Ritterlichkeit. Wer wird so spießig sein, zu mahnen, dass da Vergewaltiger und Mörder in die Freiheit gehen? Mesrines Anwältin jedenfalls nicht. Sie hilft ihm sogar bei der Flucht.
Ambivalent und vielschichtig eröffnet sich die Persönlichkeit des Hauptcharakters in “Mordinstinkt”. Jean-Francois Richet findet realistische Bilder für Mesrines zwischen mittelständischer Spießbürgerlichkeit und skrupelloser Kriminalität changierenden Existenz. Vincent Cassel profiliert sich als facettenreicher Charaktermime, der bis auf den Grund des Wesens seiner Filmfigur vordringt. “Mordinstinkt” ist der düstere Ursprung für “Todestrieb”. “Das ist Ruhm!”, ruft Mesrine angesichts der Fernsehnachrichten über seine Taten. Nach ihm will er weiter streben. Hätte er nur Thomas Gray gelesen: “The Paths of Glory lead but to the grave.” In “Mordsinstinkt” führen sie zur ebenso interessanten Fortsetzung “Todestrieb”.
Titel: Public Enemy No.1 – Mordinstinkt
Start: 12. März
Regie: Jean-Francois Richet
Drehbuch: Abdel Raouf Dafri
Darsteller: Vincent Cassel, Cecile de France, Gerard Depardieu, Ludivine Sagnier, Mathieu Amalric
Verleih: Senator